Ist nun ein Dokument, das nicht nur Straferlass für ausgesprochene Urteile und Sanktionen enthält, sondern auch Schutz vor Strafverfolgung noch nicht bestrafter Taten in der Vergangenheit gewährt, eine Begnaidigung oder eine Amnestie?
Mr. Senator,
zuerst steht die Schuld (einer Tat), dann die Anklage, dann das Urteil. Ein Gnadenerlass zeitlich vor der Tat ist nicht möglich. Das wäre keine Begnadigung, sondern ein Freibrief, welcher Immunität verleihen würde. Diese kommt gem. der Verfassung einzig und allein dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten zu.
Da Gnade - wie ich in meinem Exkurs darlegte - etwas anderes als Bewährung ist und vornehmlich die Schuld, d.h. die individuelle Vorwerfbarkeit, tilgt, sehe ich das Problem vor allem darin, ob man unbedingt eine Anklage bzw. ein Urteil abwarten muss. Die Schuld steht ja fest - was Kriminalpsychologen ja auch bestätigen und was jedem Täter in Form eines schlechten Gewissens gewärtig ist - sie wird durch das Gericht lediglich festgestellt.
Die Unschuldsvermutung nach dem CoCPA ebenfalls ein Problem: Sieht man diese streng, ist jede Anklage unmöglich, da jeder Mensch bis zum Schuldurteil als unschuldig gilt. Jede Anklage, jede repressive Maßnahme würde gegen einen Unschuldigen vorgenommen werden, denn es macht rechtstechnisch keinen Unterschied, ob jemand unschuldig ist oder nur als solcher gilt.
Die Unschuldsvermutung ist also vielmehr eine Beweiswürdigungsregel, denn das Gesetz besagt, dass die Schuld über jeden berechtigten Zweifel hinaus bewiesen, nicht nur behauptet werden muss.
Und nun ist die Frage, ob eine Begnadigung vor dem Urteil ergehen oder unbedingt ein Urteil abwarten muss. Da eine Begnadigung die Tatschuld tilgt, kann sie also jederzeit nach der Tat ergehen. Das Wesen der Schuld ist die persönliche Vorwerfbarkeit. Insofern kann die gesamte Schuld einer Person, die sich evtl. aus vielen Taten in ihren Leben, ob bekannt oder unbekannt, verfolgt oder nicht, aufgebaut hat, durch eine Begnadigung erlassen werden.
Die Person, die durch eine Begnadigung begünstigt wird, ist eindeutig feststellbar.
Eine Amnestie weist eine derartige Konkretisierung nicht auf. Sie betrifft eine Vielzahl von Personen, die zum Zeitpunkt der Amnestie noch nicht konkret feststehen müssen.
Die Antwort auf Ihre Frage ist daher, dass ein Dokument, das nicht nur Straferlass für ausgesprochene Urteile und Sanktionen enthält, sondern auch Schutz vor Strafverfolgung noch nicht bestrafter Taten in der Vergangenheit gewährt, eine Begnadigung ist, weil eine höchstpersönliche Konkretisierung gegeben ist.